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About Stephan Reusse

Ausstellung/Neue Arbeiten

Eröffnungsrede Stephan Reusse. Laser Works, Kunstmuseum Celle, 31.3.2019
Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Robert Simon, ein besonderer Gruß geht an den hochgeschätzten

Künstler, den lieben Stephan Reusse,

wir kennen uns seit dem Beginn der 1990er Jahre, haben seither viele Gespräche geführt und arbeiten immer wieder zusammen. Berührungspunkt war das uns gemeinsame Interesse an dem New Yorker Künstler Paul Thek, der 1988 verstorben war. Stephan Reusse hatte ihn kurz vor seinem Tod in seinem New Yorker Atelier in Brooklyn besucht und für seine Werkgruppe der Künstlerportraits fotografiert und ich hatte damals gerade meine Dissertation über Paul Thek veröffentlicht. Im Jahr 2002 hat unsere Zusammenarbeit in dem gemeinsamen Buch über die künstlerischen Öffnungsprozesse im Werk von Stephan Reusse eine Verdichtung erfahren. Die eine Person kommuniziert in der Hauptsache in Bildern, die andere in der Sprache.

Stephan Reusses Ausstellung handelt von Wärme und Licht.

In dieser Rede möchte ich noch einmal die Frage nach der Fotografie als Kunst aufnehmen, auch wenn sie seit Beginn des 20. Jahrhunderts mindestens schon zweimal ausgiebig gestellt worden ist.

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Stephan Reusse, It’s not me, 2019, Neonröhren auf Acrylglas Foto: Courtesy of the Artist

Künstlerische Öffnungsprozesse, unter diesem Wortgebilde ist im Fall von Stephan Reusse ein kommunikativer und medienreflektiver künstlerischer Ansatz zu verstehen, der sich zwischen Zeichnung, Fotografie, Video, Laser, und Neonarbeiten bewegt; darunter spielt auch die Performance eine starke Rolle; sie steht nicht zuletzt für die experimentelle Atmosphäre des künstlerischen Denkens, das Reusse mit der Kunst der 1970er Jahre verbindet, zum Beispiel mit dem Werk von Jürgen Klauke. In einer Zeit – bis in die 2. Hälfte der 1980er Jahre hinein -, in der Anerkennung der Fotografie als Kunst noch nicht geklärt war, war die Performance eine nicht normativ vorbelastete Möglichkeit, einen künstlerischen Filter für die Fotografie zu liefern.

Man kann von künstlerischem Zeitgeist, Klima oder Atmosphäre sprechen etwa im Sinne des Philosophen Gernot Böhme für den die Ästhetik die Aufgabe hat, die Ästhetik des Kunstwerks oder auch des Alltags, die Warenästhetik oder die politische Ästhetik durchsichtig und sprachfähig zu machen (vgl. Gernot Böhme, Atmosphäre, 2017).

Am Beispiel des Lichtes formuliert Böhme das Atmosphärische als ein Etwas, das dazwischen liegt. Er schreibt zum Beispiel über die Dämmerung: „Die Dämmerung ist ein Etwas, das sich ausbreitet, dessen Eintreten man feststellen kann: Sie ist etwas Atmosphärisches. Aber sie ist auch etwas, das einen umfangen kann, eine Atmosphäre, die man spürt und an deren Wirklichkeit man im eigenen Befinden partizipiert.“ (Gernot Böhme, Atmosphäre, 2017, S. 138)

Im Werk Reusses sind auch objekthafte Arbeiten wie körperhafte Vasen oder Bodenflächen bedeckende Teppiche zu finden; vor allem die künstlerische Präsentation, auch Installation genannt, die sich auf den Ausstellungsraum bezieht und eine Intensivierung des Zusammenspiels von Text das heißt Kunstwerk und Kontext das heißt Ausstellungsraum im Auge hat, gehört untrennbar zur sinnlich wahrnehmbaren Entfaltung der Wirkung seines künstlerischen Konzeptes. Die Heterogenität des Werkes in seinen äußeren Formen, das heißt der verschiedenen Werkgruppen, wird durch eine konzeptuelle künstlerische Haltung in einem fortlaufenden Vernetzungsprozess gehalten. Das Gehirn des Künstlers kann als Superschalttafel der künstlerischen Inhalte und Formen betrachtet werden.

Es ist wichtig, gleich eingangs darauf hinzuweisen, dass Stephan Reusses künstlerische Entwicklung vom Zeichnen bzw. der zeichnerischen Bewegung getragen wird. Sie findet in der Linie eine Möglichkeit der direkten Entfaltung und Aufzeichnung von künstlerischen Gedanken; sowohl die Laserarbeiten, denen diese Ausstellung in ihrem Titel, Laser Works , gewidmet ist, als auch die Neonarbeiten kommen für jeden erkennbar aus diesem künstlerischen Verwobensein mit der Linie. In den Zeichnungen kommt Reusses Hang zu witzigen, ironischen, mitunter auch zynischen Gedanken zum Ausdruck. Zynisch meint hier die durchaus von einem freundlichen sokratischen Lachen begleitete – im Sinne von: „Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ – in der Sache jedoch rückhaltlose Mitteilung der Beobachtung menschlichen Begrenztseins und der Infragstellung von Vorurteilen bzw. vermeintlich geklärten Wirklichkeiten einschließlich des eigenen künstlerischen Denkens wie es zum Beispiel der Ausstellungstitel „Das kleine Miteinander, Füreinander oder eben Garnichts“ seiner jüngsten Galerieausstellung in Wien sagt.

Neben der Zeichnung spielt die Fotografie eine grundlegende Rolle für das Klima im Werk von Stephan Reusse.
Wenn hier von einem Werk die Rede ist, beruht nicht auf einer jovialen, etwas übertreibenden Pose der Rednerin, sondern spiegelt eine nun schon mehr als 30 Jahre währende künstlerische Erfahrung – wenn man bei der ersten Ausstellung Reusses 1985 in der Galerie Diagonal in Paris ansetzt. Zu dieser Zeit studierte Reusse noch an der Kunstakademie in Kassel bei Harry Kramer. Zuvor hatte er an der Folkwang-Schule in Essen das Handwerk der analogen Fotografie erlernt und sich im Rahmen einer fotojournalistischen Ausbildung mit ihrem dokumentarischen Potential auseinandergesetzt. Stephan Reusse kam als Kunststudent und junger Künstler, in eine offene Situation, in der das künstlerische Potential der Fotografie zur Frage stand und verhandelt wurde. Die Auseinandersetzung um die Fotografie als Form der Kunst fand in den 1970er und 1980er Jahren nicht zum ersten Mal statt. Bereits die 1905 von Alfred Stieglitz und Edward Steichen in New York gegründete Galerie 291 sollte zu dieser Anerkennung führen.

Reusse beteiligte sich an dieser künstlerischen Erforschung von neuen Wegen der Fotografie u.a. mit experimentellen Künstlerportraits, Performances, in denen er Fotografien hervormalte und Thermographien. Die erste thermographische Arbeit von einem menschlichen Körper entstand 1982, als sich Reusse in einem Krankenhaus nach den bildlichen Möglichkeiten vonWärmebildkameraserkundigte und zufällig einer schwangeren Frau auf dem Flur begegnete. Reusse betrachtet dieses Schwarz/Weiß-Bild (Woman Pregnant, 1982) bis heute als wichtiges Bild für die

Entfaltung seiner künstlerischen Ideen. Später entstanden dann auch fotografische Bilder von Gegenständen wie Stühlen, die noch mit der Wärme eines menschlichen Körpers, der zuvor dort gesessen hat, seinem sogenannten Wärmeschatten behaftet sind, und die Imaginären Skulpturen von kalten Gegenständen wie den Kisten, die in ihrer minimalistischen Ästhetik und Dopplung zum Beispiel an die Malerei von Mark Rothko angrenzen.

In der Ausstellung sehen Sie aus der WerkgruppeLeaving Shadowsin einem der mittleren Kabinetträume Schwarz/Weiß-Arbeiten kleineren Formates, Bilder von verschiedenen Thonet-Stühlen, wiederum in minimalistischer Ästhetik – etwa an Carl Andrés Bodenplatten erinnernd – in einem Sechserblock gehängt, und eine großformatige Arbeit die zur Gruppe der Eis-Stühle (Ice Chair, 2011, 170x130cm) – Wärmerestbilder auf Eisblöcken zeigend – gehört.

Es mag Ihnen zunächst erstaunlich erscheinen, aber Reusses Wärmebilder berühren die künstlerischen Ideen impressionistischer Maler. Die impressionistischen Maler versuchten, das problematische Verhältnis der Malerei zur aufkommenden Fotografie zu lösen, indem sie nicht farbliche Gegebenheiten auf der Leinwand darboten, sondern das Bild als Wirkung im Auge des Betrachters stattfinden lassen wollten. Die Fotografie eines impressionistischen Bildes enthält ein ebenso paradoxes Potential, wie die in der Thermografie gesteigerte Fotografie. Während die Impressionisten das Licht malten und damit materialisieren wollten, begibt sich Reusse mit seinen Thermografien in das Reich der Schatten, in ein Feld jenseits des (hellen) Lichtes. Gernot Böhme schreibt: „Auch das Dunkle ist wie das Helle ein Zustand des Raumes.“ Und: „Die Dunkelheit hüllt die Dinge ein und läßt sie schließlich verschwinden, in der Helligkeit treten sie in Erscheinung und werden in ihrer Anwesenheit spürbar bis zur leuchtenden Präsenz.“ (Gernot Böhme,Atmosphäre, 2017, S. 137) Nicht zuletzt deshalb spricht Reusse vonImaginären Skulpturen.Hell und Dunkel, Wärme und Kälte ermöglichen Bilder, die an der existentiellen Grenze von Anwesenheit und Abwesenheit, Leben und Tod wohnen. Gernot Böhme schreibt: „Das Licht und die Finsternis, Helligkeit und Dunkelheit sind etwas außer uns und den Dingen.“ (Gernot Böhme, Atmosphäre, 2017, S. 137) Reusse lässt offen, was das sein könnte. Seine Arbeit berührt einen möglichen spirituellen Raum zwischen den Körpern und Dingen, ohne dabei religiös zu werden.

Im ersten Ausstellungsraum hängen neue Rothko-Arbeiten (Rothko, 2019, Inkprint hinter Acrylglas, zum Beispiel 200x170cm/Doppelarbeit). Frühe Rothko-Arbeiten von Stephan Reusse stammen aus dem Jahr 2001. Bei einer der neuen Arbeiten handelt es sich zum Beispiel um eine Kälteaufnahme von Wasser auf einer Wand. Sie erscheint in intensiven Farbigkeiten aus dem roten Bereich, die die Kälteempfindlichkeit der Kamera visuell in ihr Gegenteil übersetzt. Reusse spricht hier von scharf gesteuerten Farben, wobei er die Originalfarben des Kältebildes nur leicht abgewandelt hat. Mit dieser Arbeit geht er weiter auf dem Weg, die malerischen Qualitäten seines künstlerischen Handelns/Vorgehens zu erforschen und sichtbar zu machen. Das sich ausschließende Gegenüber, der Widerspruch von figurativen und abstrakten Darstellungsformen wird außer Kraft gesetzt. Man möge sich daran erinnern, dass Reusse bei seinen frühen Performances mit einem in Entwicklerflüssigkeit getauchten Besen Fotografien hervorgemalt hat, die in ihrer fragmenthaften Ästhetik und ihren zufälligen Fließspuren, ihrem Dripping bereits mit der Auflösung dieser Grenze befasst waren. Skulptur und Malerei verschmelzen zu einer auf Gleichwertigkeit beruhenden offenen künstlerischen Ästhetik, die nun als eine besondere künstlerische Qualität seiner Fotografien im Raum steht und damit eine mögliche Antwort auf die vorhin gestellte Frage nach der Fotografie als Kunst ermöglicht.

In ihrem Vernetzsein mit der Kunst der 1990 und 2000er Jahre, die dieneuen Mediennach ihrer künstlerischen Relevanz weiter erforscht haben, hat Reusse sowohl mit dem Medium des Films als auch mit der Lasertechnologie experimentiert.
Daraus haben sich seit 2001 unter anderem seine bewegten Bilder von Wölfen in der freien Natur ergeben, die den Betrachter im Rahmen dieser Ausstellung in einen von langsamen Bewegungen bestimmten pink-roten Farbraum eintreten lassen, als könnte man vorübergehend eine andere, sonst nicht zugängliche Wirklichkeit sehen oder in eine andere Welt eintreten. In der Natur aufgezeichnete Situationen wurden visuell verfremdet und damit intensiviert. Das Wolfsvideo ist nicht einfach eine kinoartige Form der Bildpräsentation, sondern stellt einen Lichtraum dar, der seine atmosphärischen Kreise zieht und den Betrachter als Beobachter der Wölfe einsame Fremdheit spüren lässt. Es geht nicht

zuletzt auch um die mit vielen Vorurteilen belegte Existenz eines Tieres.

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Stephan Reusse, Blick in die Ausstellung Laser Works, Kunstmuseum Celle 2019
Video: Courtesy of the Artist, 2019

Weiter geht es weiter zu der Laserarbeit Man who believes he has moths in his head aus dem Jahr 2013 (siehe Video). Ihre intensivierte Lichtlinie schreibt die Bewegungen einer männlichen Figur in den Raum. Andere, in höchster Spannung befindliche Figurentypen, die, von Grillengeräuschen umgeben, etwas für den Betrachter nicht Sichtbares wegzuschlagen versuchen, lassen eineAtmosphäre der Konzentration entstehen, in der man mit seinen Augen und Gedanken den Bewegungen der Linie folgt.

Es scheint so, als denke die Linie sich in ihrer Bewegung selbst.
Reusse kann als erster Künstler betrachtet werden, der auf der Grundlage minutiös geplanter filmischer Aufzeichnungen seine Laserarbeiten entwickelt hat. Die erste Laserarbeit aus dem Jahr 2007 trägt den Titel Mice. Diese Arbeiten beruhen auf differenzierten Programmierungen. Komplexe Technologie trifft hier auf den Drang nach einer abstrahierenden Vereinfachung der künstlerischen Form auf das Notwendige in Verbindung mit der Intensivierung ihrer Wirkung. In den Laserarbeiten geht es um Zeichnungen, die sich vor den Augen des Betrachters zwischen den Gegenständen als schnelle Lichtbewegungen ereignen.
Daneben nimmt sich die Neonarbeit It‘s not me (2019, Neonröhren auf Acrylglas, 140×120 cm), die für diese Ausstellung entstanden ist, im Gegenüber zu den Laserarbeiten statisch aus. Dabei handelt es sich um vier übereinander liegende durchgezogene Linien in vier Farben, den Farben Pink, Blau-Grün, Gelb und Weiß. Sie stellen verschiedene Menschentypen (Europäer, Afrikaner usw.) dar. Sie alle waschen sich ihre Hände in Unschuld, indem sie mit einer entsprechenden Geste behaupten, dass sie es nicht waren. Und natürlich fragen die Betrachter noch bevor sie über das Ganze nachgedacht haben, um was es dabei geht, allein die eigene Rolle bei der Erschließung der Frage und seiner inhaltlichen Dimensionen kommt ihnen möglicherweise zuletzt in den Sinn.
In Anlehnung an Leonardo da Vinci können die vier menschlichen Figuren etwa 500 Jahre später als eine andere, zeitgenössische Anthropometrie betrachtet werden, wobei es sowohl um persönliche als auch weltpolitische Dimensionen geht, die in der Betrachtung der Kunst eine exemplarische Verdichtung erfahren. Dass manch einer denkt, dass Reusses Neonarbeit von Bruce Naumann abgeschaut sein könnte, interessiert den Künstler wenig. Diese Unabhängigkeit ist durchaus gerechtfertigt, da sein künstlerisches Werk mehr als ausreichend von Eigenlogik durchzogen ist. Reusses Neonarbeit kommt aus einem anderen künstlerischen Prozess, auch medial gesehen.

Bleibt die Neonarbeit dem Illusionismus verhaftet, während sich die Laserarbeit in ihrer Ereignishaftigkeit daraus gelöst haben könnte? Auch hier streuen die Übersetzungsprozesse, in denen die Laserarbeit entsteht, illusionistische Reste in die Realität der künstlerischen Ideen. In seinem Annäherungsversuch an diese Realität der Ideen steht Reusse dem Künstler Joseph Beuys nahe, den er in seiner Werkgruppe der Künstlerportraits mehrfach ins Bild gesetzt hat, übrigens auch durch Hervormalung seines fotografischen Portraits.

Text von Marietta Franke, Copyright

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Stephan Reusse, Blick in die Ausstellung mit neuen Arbeiten, 2019 Foto: Courtesy of the Artist

Eröffnung der Ausstellung am Sonntag, den 31.3. bis 11.6.2019

kunst.celle.de/Ausstellungen/03-19-Stephan-Reusse, stephanreusse.com

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